Das Jahr 2015 markierte einen Meilenstein für Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Darin verständigte sich die Weltgemeinschaft auf 17 Ziele, die eine wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung anstreben. Implizit wurde damit der bisherige Wohlstandsbegriff, der sich nur auf das Pro-Kopf-Einkommen konzentrierte, wesentlich erweitert. Beschlossen wurde 2015 auch das Pariser Klimaschutzabkommen, das mittlerweile von über 180 Staaten ratifiziert wurde und weltweite Klimaneutralität in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts anstrebt. Die EU geht mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 voran und hat 2019 als Fahrplan den europäischen „Green Deal“ erarbeitet.

Taxonomie-Verordnung für den Finanzmarkt

Parallel zum klimapolitischen Fahrplan arbeitet die EU seit 2018 am „Aktionsplan für nachhaltige Finanzen“ („Sustainable Finance“), um die Finanzwirtschaft in Ziele der Nachhaltigkeit (Sustainability) einzubinden. Dabei werden wirtschaftliche Kriterien ergänzt um sogenannte ESG-Kriterien (Environment | Social | Governance – also Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung). Mit der Offenlegungs- und der Taxonomie-Verordnung wurden Ende 2019 bereits rechtsverbindliche Grundlagen dafür geschaffen, wie berichtspflichtige Unternehmen transparent über Nachhaltigkeitsrisiken (drohende Wertverluste aufgrund von ESG-Risiken) und über Umweltschäden (negative Nachhaltigkeitsauswirkungen) informieren können.

Die Taxonomie-Verordnung soll ein einheitliches Klassifizierungsschema schaffen, um nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten bewerten zu können. Unmittelbar zu beachten ist sie von Banken, Versicherungen und anderen Akteuren der Finanzmärkte, die Finanzmarktprodukte bereitstellen, sowie für „große Unternehmen von öffentlichem Interesse“ (Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten und einer Bilanzsumme über 20 Mrd. Euro oder einem Umsatz über 40 Mrd. Euro). Sie alle müssen in einer „nichtfinanziellen Erklärung“ jährlich über ihre unternehmerische Tätigkeit berichten, einschließlich der Folgen für Umwelt, Soziales, Menschenrechte und Korruption, und damit offenlegen, welche Teile ihrer Aktivitäten „nachhaltig“ im Sinne der Umweltziele der Taxonomie sind.

Die Taxonomie-Verordnung legt sechs Umweltziele fest:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

Die ersten beiden Ziele werden ab 2022 Anwendung finden. Für die Klimaschutzziele liegen die Kriterien fest, an denen für jede einzelne Tätigkeit bemessen wird, ob und inwieweit sie als „nachhaltig“ gilt. Die delegierte Verordnung vom 21. April 2021 gibt in Anhängen von mehreren hundert Seiten detaillierte und meist quantitative Bewertungsmaßstäbe für die Nachhaltigkeit von etwa hundert Wirtschaftsaktivitäten vor. Für die weiteren Ziele 3 bis 6 stehen die endgültigen Fassungen der delegierten Rechtsakte mit den technischen Kriterien noch aus, sie sollen jedoch schon ab 2023 angewandt werden.

Konkrete Auswirkungen gibt es auch für die Art und Weise, wie Unternehmen der Finanzwirtschaft und Finanzberater Anleger beraten müssen: Die Offenlegungsverordnung verpflichtet sie schon im Vorfeld von Beratungen und Vertragsabschlüssen dazu, Anleger darüber zu informieren, wie sie mit Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionen und Beratungen umgehen und welche Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit die von ihnen beworbenen oder bereitgestellten Produkte haben. Ferner müssen ihre Informationen beinhalten, welche Umweltziele mit einem Finanzprodukt angestrebt und welcher Anteil dieses Finanzprodukts in nachhaltige Aktivitäten investiert wird – und zwar getrennt nach „ermöglichenden Aktivitäten“ und „Übergangsaktivitäten“.

Auswirkungen auf die Realwirtschaft

Die EU-Taxonomie gibt sehr detailliert vor, welche wirtschaftlichen Aktivitäten zu welchem Zeitpunkt als nachhaltig gelten. Damit wird offenkundig und überprüfbar, in welchem Umfang die Geschäftstätigkeiten von Unternehmen nachhaltig sind. Dies ist beileibe nicht nur für die Öffentlichkeitsarbeit wichtig, sondern wirkt sich u. a. ganz konkret auf die Unternehmensfinanzierung aus: Denn Kapitalgeber und Versicherungen werden aufgrund ihrer eigenen Berichtspflichten und aufgrund der Erwartungen ihrer jeweiligen Aufsichtsbehörden umfangreiche Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Risikopositionen einholen müssen.

Und das hat direkte Auswirkungen auf viele weitere Unternehmen der Realwirtschaft:

Die Finanzunternehmen sind nun durch diese Regulierung dazu gezwungen, ihrerseits Nachhaltigkeitsberichte von allen Unternehmen einzufordern, die bei ihnen Finanz- oder Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen wollen. Auf diese Weise wird sich der Strukturwandel zugunsten nachhaltiger Geschäftsmodelle beschleunigen. Selbst ohne politische und regulatorische Eingriffe werden nicht-nachhaltige Aktivitäten verteuert – oder sogar verhindert.

Das sieht auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) so: Für Unternehmen, die die Kriterien nicht erfüllen, könnten sich die Finanzierungsbedingungen verschlechtern bzw. der Zugang zu Finanzierungen könnte sogar verwehrt werden. „Aber für Unternehmen, die die Kriterien erfüllen, könnte eventuell der gegenteilige Effekt eintreten“, so der DIHK in einer Stellungnahme. In die gleiche Kerbe schlägt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft: „Langfristig wollen die Versicherer keine gewerblichen und industriellen Risiken mehr zeichnen, die den Transformationsprozess zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft negieren.“

Auch Mittelstand betroffen

Auch kleinen und mittleren Unternehmen ist also dringend zu empfehlen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und ein Nachhaltigkeitsmanagement einzuführen. Denn die EU-Taxonomie und die schon bestehenden Berichtspflichten für Großunternehmen werden sich auf die Lieferanten und Kunden der gesamten Wertschöpfungskette auswirken.

Bei Konzepten für das Nachhaltigkeitsmanagement (z. B. gemäß dem Standard ISO 26000) spielen Nachhaltigkeitsberichte eine wichtige Rolle: Sie dienen im Unternehmen intern dazu, um soziale, ökologische und ökonomische Aspekte zu verbessern. Nach außen sind sie ein wichtiges Instrument für die Diskussion mit Stakeholdern (z. B. Anteilseigner, Beschäftigte, Lieferanten, Kunden, Nachbarn, Verbände, Behörden). Gerade kleine und mittlere Unternehmen benötigen oft erst einmal einen Überblick, wo sie beim Thema Nachhaltigkeit stehen und welche Aspekte mit welchen Kennzahlen abgebildet und transparent gemacht werden müssen. Die Erarbeitung des Berichts kann damit auch intern für mehr Klarheit sorgen.

Wie berichten?

Den Unternehmen bleibt es derzeit noch selbst überlassen, nach welchem Standard sie berichten. Ebenso gibt es noch keine Verpflichtung, diese Berichte extern prüfen zu lassen. Nutzbar sind nationale, europäische oder internationale Rahmenwerke wie der UN Global Compact, die ISO 26000 und das Eco-Management und Audit Scheme (Emas). Unterstützung bieten etwa die G4-Leitlinien der Global Reporting Initiative (GRI) oder Kriterienkataloge, etwa des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK). Diese stellen sicher, dass die Regelungen des CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetzes oder des Nationalen Aktionsplans (NAP) Wirtschaft und Menschenrechte beachtet werden.

Die neuen Regelungen der EU stellen die Unternehmen zweifellos vor große Herausforderungen, zumal das Thema Nachhaltigkeit gemäß der ESG-Kriterien viele Aspekte umfasst – weit über Kernfragen wie Energieeffizienz und CO2-Reduzierung hinaus. Dennoch müssen auch kleine und mittlere Betriebe bei Anfragen ihrer Kapitalgeber, Versicherungen, Kunden und Lieferanten mit den entsprechenden Informationen aufwarten können. Darüber hinaus wird es mehr Regulierung, Bürokratie und Berichtspflichten sowie steigende Kapitalkosten für schlecht vorbereitete Unternehmen geben. Sogar die Zerstörung etablierter Geschäftsmodelle ist möglich. Die Vorbereitung sollte also entschlossen angegangen werden.

Aber es gilt auch, die langfristigen Chancen zu sehen: Mit den beschriebenen Maßnahmen werden Nachhaltigkeitsrisiken systematisch erfasst und bewertet. Unter dem Strich wird damit ein nicht nachhaltiges Wirtschaften teurer werden und sich auf die Preise auswirken. Durch diese Kosten- und Preissignale werden die Kapitalflüsse stärker in nachhaltige Verwendungen gelenkt. „Sustainable Finance“ eröffnet auf diese Weise neue Geschäftsgelegenheiten und Geschäftsmodelle. Die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen dürfte einen neuen Innovationsschub entfachen – hin zu höheren ökologischen und sozialen Standards, aber auch hin zu neuen Märkten und Geschäftsfeldern.

Weitere Informationen zu dem Thema Sustainable Finance unter www.ihk-nuernberg.de/sustainable-finance

Ansprechpartnerin:
Yvonne Stolpmann
IHK Nürnberg für Mittelfranken
yvonne.stolpmann@nuernberg.ihk.de